Diese Gegend ist kein Garten,
und erst recht kein Garten Eden.
Auf den Schlachtfeldern von Verdun,
stehn die Toten auf und reden.
Erich Kästner, „Verdun, viele Jahre später“ (1931)
Schon Erich Kästner, einer der klügsten und sprachgewandtesten Schriftsteller der Weimarer Republik, betonte die Bedeutung des symbol- und geschichtsträchtigen Ortes und erkannte die Gefahr, die das Erstarken der Nationalsozialisten bedeutete, frühzeitig. Die als Gedicht verfasste Mahnung richtete er an seine Landsleute, die zu jener Zeit im Begriff waren, sich von den Nationalsozialisten blenden zu lassen. Es waren ein gefährliches Maß an Geschichtsvergessenheit sowie das Folgen der menschenverachtenden Ideologie und Propaganda der Nationalsozialisten, die letztlich in einen weiteren Weltkrieg und eine weitere humanitäre Katastrophe führten.
Das Erstarken nationalistischer und diskriminierender Bestrebungen in unserer Zeit, die für ihre Zwecke auch vor einem Umdeuten der Geschichte nicht Halt machen, zeigt uns, wie wichtig sachlich fundierte Kenntnisse über unsere Geschichte und wie notwendig eine ansprechend gestaltete Erinnerungskultur sind. Darum ist der Besuch der Gedenkstätten von Verdun eine unverzichtbare Exkursion in der MSS 12.
Am 9. Juli 2024 erreichte die Schülergruppe mit den begleitenden Lehrkräften das Museum nahe dem Gelände, auf dem vor dem 1. Weltkrieg der Ort Fleury-devant-Douaumont stand, bis er von Bomben und Granaten dem Erdboden gleichgemacht wurde. Die Landschaft der heute parkähnlichen Anlage mutet zunächst recht friedlich an. Die in den Boden geschlagenen Narben der Schlacht um Verdun, die tiefen Krater sind jedoch unübersehbar und erzeugen im Zusammenspiel mit den zahlreichen Erinnerungsstelen ein surreal anmutendes Bild. Die Jugendlichen können letztlich kaum fassen, dass dort, wo nichts mehr ist, einst ein reges Dorfleben mit vielen Menschen und Nutztieren herrschte.
Wie es dazu kommen konnte, das hatten die Schülerinnen und Schüler zu einem guten Teil bereits im Geschichtsunterricht erfahren und konnten ihr Wissen nun im Mémorial de Verdun vertiefen. Museumspädagogisch auf dem neuesten Stand, vermittelt das im Zentrum des einstigen Schlachtfeldes errichtete und 2016 neueröffnete Museum den jungen Menschen sehr anschaulich und facettenreich wesentliche Hintergründe, zentrale geschichtliche Fakten und Zusammenhänge rund um den 1. Weltkrieg anhand von Multimedia-Installationen, Modellen, unterschiedlichsten Ausstellungsstücken, Kriegs- und Kunstobjekten, ja sogar mittels 3D-Brille.
Dass mit dem Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine wieder Hunderttausende Menschen von Tod und Vernichtung bedroht und betroffen sind, ums Überleben kämpfen, Menschen, Heimat, Hab und Gut verlieren, vor einer ungewissen Zukunft stehen, wird in der aktuellen Fotoausstellung „Ukraine: Photographs from the frontline“ der Reporterin Anastasia Taylor-Lind im Mémorial in Erinnerung gerufen. Das Nebeneinander von Vergangenheit und Gegenwart im Zeichen des Krieges erzeugt eine ungeheure Intensität, die in den Besuchern nachwirkt. Sichtlich beeindruckt verließen auch unsere Schülerinnen und Schüler die Ausstellung, tauschten sich aus über ihre Gedanken und Gefühle, die die Bilder in ihnen ausgelöst haben.
Die Schrecken des Krieges, die Metapher von der „Hölle von Verdun“ mit Hunderttausenden von Toten wurde anschließend in einer Führung durch das Fort Douaumont, das während des 1. Weltkriegs lange von deutschen Soldaten besetzt war, anhand vieler eindrücklich erzählter Szenen vom Leben und Sterben vor und hinter den Mauern der Festungsanlage erneut deutlich. Beim Gang durch die beleuchteten nasskalten Gänge, Schlafräume und Toilettenanlagen des Forts und dank der sehr detaillierten und anschaulichen Schilderungen unseres Guides konnten die jungen Besucher sich annähernd vorstellen, welche Zustände innerhalb des Forts geherrscht haben mögen, wie sehr die Soldaten im Krieg gelitten haben, welches Leid sie aber auch mit den Artilleriegeschossen über die französische Armee und Bevölkerung gebracht haben. Vor einer mit Kreuz, Kerzen und Blumenschmuck gestalteten Kapelle am Ende eines Gangs machte die Gruppe Halt und nach einer Schweigeminute für die hinter der Mauer begrabenen 600 deutschen Soldaten beschwor der junge französische Guide die deutsch-französische Freundschaft und rief seine jungen deutschen Zuhörerinnen und Zuhörer nachdrücklich dazu auf, sich für Frieden und Völkerverständigung einzusetzen. Man könne und dürfe sein Land, seine Heimat lieben, dies aber in Solidarität und Partnerschaft mit den anderen Nationen Europas. Das Gedenken der Kriegsopfer solle uns Mahnung, die deutsch-französische Freundschaft Ermutigung sein.
Den Abschluss der Gedenkstättenfahrt bildete der Besuch des Beinhauses und des Nationalfriedhofs von Fleury-devant-Douaumont mit seinen rund 16.000 Gräbern, 16.000 Kreuzen, ein jedes mit Namen versehen. Auch 592 Gräber muslimischer Soldaten und ein zu ihren Ehren errichtetes Grabmal sind auf dem Areal zu finden, ebenso eines für die jüdischen Gefallenen. Die Schülerinnen und Schüler durchschritten das weite Friedhofsgelände, konnten dabei das Bild tausender symmetrisch angeordneter weißer Grabkreuze auf sich wirken lassen und die an dem Tag gewonnenen Eindrücke reflektieren.
Erschöpft von dem langen, ungemein eindrucksvollen Tag konnten die Jugendlichen auf der Rückfahrt weiter zur Ruhe kommen und allmählich wieder zu sich finden.
Wir möchten uns ausdrücklich beim Pädagogischen Landesinstitut RLP (Koordinierungsstelle für schulische Gedenkarbeit und Zeitzeugenbegegnungen) bedanken, durch dessen großzügige Förderung die Fahrt ermöglicht wurde. Außerdem danken wir sehr herzlich den Lehrern der Geschichtskurse, Björn Schmitz, Benjamin Emrich und Felix Fey, die das Thema im Unterricht sehr engagiert vorbereitet sowie die Fahrt nach Verdun organisiert und begleitet haben. Leider konnte Herr Fey verletzungsbedingt an der Fahrt nicht teilnehmen, für ihn sprang Andrea Hügle ein.
+ Andrea Hügle